„Die hellen Tage“ – Zsuzsa Bánk

Wer Glück und Helligkeit miteinander verbindet, wird eine vage Vorstellung von dem entwickeln, was diese Geschichte lesenswert macht. Erzählt wird die Kindheit dreier Freunde, die erwachsen werden, ohne zu wissen, was das eigentlich bedeutet. Die ihre hellen Tage leben, ohne daran zu denken, dass Helligkeit erst durch Dunkelheit wahrnehmbar wird. Aja, Seri und Karl wachsen gemeinsam auf, ziehen gemeinsam in die Welt und doch sind es die unterschiedlichsten Ereignisse, die sie prägen und letztlich vielleicht zu dem machen, was sie zu sein glauben.

Zsuzsa Bánk erzählt poetisch, melancholisch, zart und wuchtvoll zugleich. Manche Sätze ziehen sich über Zeilen und doch schwingen sie immer mit, diese hellen Tage, die jeder kennt und die jeder vermisst. Die Autorin provoziert beim Lesen eine Sehnsucht, der man sich nur schwer entziehen kann. Man könnte die Geschichte auch auf 200 Seiten kürzen, doch dann würde sie verloren gehen, diese ergreifende Sprache, die deutlich macht: Ja, das ist wahre Literatur. Das ist schön.

Was dazu?

Italienischer, schwerer Rotwein.

Ein Blick ins Buch?

„Ich sagte, ich werde mich wohl doch in Kirchblüth begraben lassen, es sieht ganz danach aus, und Karl erwiderte: Aber da bist du doch jetzt schon begraben, und dann lachten wir seit langem zum ersten Mal wieder so laut und frei wie früher.“ (Die hellen Tage, Zsuzsa Bánk)

Zsuzsa Bánk – Die hellen Tage. Roman. Fischer, Frankfurt am Main, 2014. 541 Seiten, Taschenbuch, 9,99 €.

Guten Hunger, besseres Lesen!

„Der beste Roman des Jahres“ – Edward St. Aubyn

Etwas verwegen ist es schon, gleich zu Beginn des Jahres den literarischen Höhepunkt durchzustöbern. Es hat sich gelohnt! Der reißerische Titel verspricht nicht zu viel und ist anders als jeder Bild-Artikel auch ziemlich nah an der Wahrheit. Die grundlegende Situation ist schnell erzählt: Als Leser begleitet man verschiedene Figuren, die alle Mitglieder einer Jury sind, deren Aufgabe es ist, einen Literaturpreis zu vergeben. Die Schreibe ist very british und lebt von der Satire und dieser besonderen Prise Humor, die es nur auf der Insel gibt. Es grenzt an Herrlichkeit, die unterschiedlichen Charaktere mit all ihren Befindlichkeiten zu begleiten. Dabei wird der Literaturbetrieb nicht nur ordentlich durch den Kakao gezogen, sondern ganz nebenbei auch dekonstruiert. Und das mit einem Augenzwinkern.

Man könnte sagen, dass die vielen Handlungsstränge mit den vielen Protagonisten anstrengend sind. Ich sage das nicht. Ich bin vielmehr fasziniert davon, dass jede einzelne Figur trotz weniger Zeilen pointiert und genau gezeichnet ist. Es macht Spaß, die Auswahl des besten Romans zu begleiten. Und das auch, weil man sich unweigerlich fragt: Was ist denn eigentlich für mich gute Literatur?

Was dazu?

Scones und Schwarztee.

Ein Blick ins Buch?

„Und dann überlegte sie, warum irgendein Buch diesen verdammten Preis, um den sie sich zu kümmern hatte, gewinnen sollte, wenn es nicht zumindest das Potenzial hatte, in einer Situation wie dieser zu helfen: Wenn es nicht das Zeug hatte, einem Menschen zur Seite zu springen, der weinen wollte, aber nicht konnte, der denken wollte, aber nicht klar zu denken vermochte, der lachen wollte, aber keinen Grund dafür sah.“ (Der beste Roman des Jahres, Edward St. Aubyn)

Edward St. Aubyn – Der beste Roman das Jahres. Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Hansen. Piper, München/Zürich, 2014. 253 Seiten, gebunden, 16,99 €.

Guten Hunger, besseres Lesen!

„Ein unmögliches Leben“ – Andrew Sean Greer

Die Idee des Symbolischen Interaktionismus wird eindrucksvoll deutlich in George Herbert Meads Satz: „Wir müssen andere sein, um wir selbst werden zu können.“ Greta, die Protagonistin in Andrew Sean Greers Roman „Ein unmögliches Leben“, findet sich nach einer Anwendung in anderen Welten wieder. Doch ist sie noch sie selbst? Oder ist das eine andere Greta, die aufgrund anderer Gegebenheiten eine andere Person ist?

Das Thema des Romans umspannt philosophische Fragen, die an den Grundfesten unserer Existenz kratzen, schließlich glauben wir gern, wir seien wie wir sind, weil wir nun mal so sind wie wir sind. Unsere Selbstwahrnehmung ist abhängig von dem Gedanken, frei entscheiden zu können. Sämtliche Determinanten, die sich außerhalb unseres Entscheidungsradius befinden, wirken übermächtig und machen Angst. Letztlich ist das die Frage jeder soziologischen Arbeit: Anlage oder Produkt?

Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen und das erahnt man auch in Greers Roman. Die Grundidee ist gut und bietet viel Potential. Das Ende ist nicht sehr überraschend, die Sprache macht Spaß. Wer sich gern auch mal mit den fiesen Fragen des Lebens beschäftigt, denen, die einen Knoten im Kopf hinterlassen, der findet in dieser Erzählung einen guten Einstieg. Tiefsinniger geht immer, aber je tiefer, desto weniger Sauerstoff. Das darf man nie vergessen.

Was dazu?

Was ihr wollt.

Ein Blick ins Buch?

„Am wunderlichsten an meinen Reisen finde ich rückblickend, dass allein ich das Schöne an diesen Welten zu würdigen wusste. Der Durchschnittsbürger von 1918 fand das flackernde Gaslicht nicht pittoresk oder hübsch, sah in den alten holländischen Giebelhäusern allenfalls Schandflecke; aus seiner Sicht zerfiel wie ballte sich die Welt zu schnell.“ (Ein unmögliches Leben, Andrew Sean Greer)

Andrew Sean Greer – Ein unmögliches Leben. Roman. Aus dem Amerikanischen von Uda Strätling. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 334 Seiten, gebunden, 19,99 €.

Guten Hunger, besseres Lesen!

 

„Der erste Sohn“ – Philipp Meyer

So gern glaubt man der Karl May Romantik des Wilden Westens. So gern hat man den Marlboro Cowboy vor Augen, der in den Sonnenuntergang reitet und am Horizont mit dem orangeflimmernden Ball verschmilzt. So gern verklärt man die Natur zu einem idealisierten Zustand der Einheit von Mensch und Erde. Wer gerne Cowboy und Indianer spielt und dabei das gegenseitige Abschlachten bisher vermieden hat und auch zukünftig vermeiden will, der sollte jetzt nicht weiterlesen.

Philipp Meyer liefert einen epochalen Roman. Erzählt wird die Geschichte einer Familie, die sich über fast 200 Jahre erstreckt. Es geht um Weiße, Mexikaner, Indianer, Öl, Fracking, Geld – kurz Texas. Auf der ersten Seite befindet sich ein Familienstammbaum, der gerade am Anfang äußerst hilfreich ist, denn erzählt wird aus verschiedenen Perspektiven zu verschiedenen Zeitpunkten. Ich habe diesbezüglich Kritiken gelesen, die sich an der Vielzahl der Charaktere und der ständigen Zeitsprünge stören. Das scheint mir etwas unverständlich, so sollte man vom lesenden Volk doch erwarten können, mehr als 2 Hauptfiguren im Gedächtnis behalten zu können.

Rahmen dieser Familiengeschichte bildet die Gründung Texas im Jahr 1836. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind für viele das Land der Sehnsucht. Vergessen wird oft, dass das heutige Gebiet der USA bitter erkämpft wurde. Es ist viel Blut geflossen und genau das wird in „Der erste Sohn“ auch erzählt. Der Gründungsmythos der USA wird entmystifiziert. Schuldige gibt es auf allen Seiten, Verwundete gibt es auf allen Seiten. Menschliche Auseinandersetzungen lassen sich nicht nach einem schwarz/weiß Schema analysieren. Sie sind komplex, unverständlich und in den seltensten Fällen nachvollziehbar. Das ist der Kern dieses Buches und genau das ist es, was ich an diesem Buch empfehlenswert finde. Nach eigenen Aussagen war es Meyers Absicht, die Vorfahren der heutigen US-Gesellschaft weder als Helden noch als Verbrecher zu inszenieren. Ich finde, das ist ihm gelungen. Als Lesender wechselt man ständig die Seiten. Verachtungswürdige Gräueltaten erscheinen plötzlich menschlich. Vielleicht ist das die entscheidende Botschaft – unmenschliche Taten gibt es nicht, wenn sie von Menschen verübt werden.

Die fehlende Romantik spiegelt sich auch in der Sprache. „Der erste Sohn“ ist nicht gerade eine Meisterleistung und wirkt an einigen Stellen durchaus plump. Doch stört das wenig, wenn man mutig genug ist, sich auf diesen Wälzer einzulassen.

PS: Nicht alle Texas Ranger sind wie Chuck Norris.

Was dazu?

Whiskey.

Ein Blick ins Buch?

„Mir wurde vorhergesagt, dass ich hundert Jahre alt werden würde, und da ich dieses Alter erreicht habe, sehe ich keinen Grund, an dieser Prophezeihung zu zweifeln. Ich sterbe nicht als Christenmensch, auch wenn mein Skalp unversehrt ist, und falls es die ewigen Jagdgründe gibt, bin ich dorthin unterwegs.“ (Der erste Sohn, Philipp Meyer)

Philipp Meyer – Der erste Sohn. Roman. Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog. Knaus Verlag, München 2014. 606 Seiten, gebunden, 24,99 €.

Guten Hunger, besseres Lesen!

 

„Friedhof der Kuscheltiere“ – Stephen King

Oldie But Goldie – „Friedhof der Kuscheltiere“ ist wohl Stephen Kings bekanntester Roman, zumindest ist er einer der kommerziell erfolgreichsten des US-amerikanischen Autors. Eigentlich liebe ich Horror, auch wenn ich selten Bücher aus dem Genre lese, da die sprachliche Umsetzung vieler Erzählungen erschreckender ist als die Handlung selbst. Bei Stephen King ist das nicht so, weshalb ich mich ohne Angst als Fan zu erkennen gebe. Seine Romane entwickeln einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. King reiht nicht nur Roman an Roman – er gestaltet eine Welt, Charaktere aus der einen Erzählung tauchen plötzlich in einer anderen wieder auf. Auf leisen Schritten sind sie ganz selbstverständlich Teil der einen Handlung und erst nach und nach erinnert man sich daran, dass einem dieser Name doch so verdammt bekannt vorkommt. King arbeitet präzise und erfindet eine Welt, die man in jeder Sekunde für real hält. Vermutlich ist das auch sein Geheimnis – die Vorstellung, all das, was in diesen Romanen passiert, ist nicht nur eine in Worte gefasste Fantasie, macht Stephen Kings Horror so beängstigend. Die Realität und Tiefe der Charaktere, die detaillreichen Handlungen, die irgendwie alle miteinander verwoben scheinen und letztlich eine gerade und treffende Sprache – King ist einzigartig und tatsächlich gruselig. Auch deshalb weil er keine Rücksicht auf seine Leser und Leserinnen nimmt. Eigentlich sehnen wir uns nach Sicherheit, denn diese reale Welt, in die King uns entführt, ist unserer so ähnlich. Wenn es also dort keine Sicherheit gibt, dann gibt es sie bei uns auch nicht.

„Friedhof der Kuscheltiere“ ist ein guter Einstieg in die King-Welt. Dr. Louis Creed zieht aus beruflichen Gründen mit seiner Familie nach Ludlow, eine kleine amerikanische Stadt, über die der Nachbar der Creeds viel zu berichten weiß. Die Familie lebt sich gut ein, doch hinter dem Haus führt ein Weg zu einem Ort, der nur schwer zu fassen ist. Etwas abgelegen liegt ein Tierfriedhof, der das Leben der Familie bald maßgeblich bestimmen wird. Jedes knacken der Holzdielen, jedes Blätterrauschen werden zur Gefahr, wenn ich Stephen King lese, denn seine Romane entfesseln meine Vorstellungskraft und lassen sie in den Abgrund des Horrors hinabgleiten. Neben „Friedhof der Kuscheltiere“ empfehle ich das noch sehr viel umfassendere Werk „Es“. An die anderen Geschichten taste ich mich langsam heran. Ganz langsam.

Was dazu?

Ein scharfes Küchenmesser, besser noch die frisch geschliffene Axt, sollten griffbereit sein.

Ein Blick ins Buch?

„Auf dem Weg zum Tierfriedhof an jenem Abend versuchte Louis zweimal, vielleicht sogar dreimal, mit Jud zu sprechen, aber Jud antwortete nicht. Louis gab es auf. Das Gefühl der Zufriedenheit, abwegig unter den gegebenen Umständen, aber eine eindeutige Tatsache, blieb bestehen. Es schien von überallher zu kommen.“ (Friedhof der Kuscheltiere, Stephen King)

Stephen King – Friedhof der Kuscheltiere. Roman. Aus dem amerikansichen Englisch von Christel Wiemken. Heyne Verlag, München 2011. 608 Seiten, Taschenbuch, 9,99€.

(Anmerkung: Der Blick ins Buch bezieht sich auf eine ältere Ausgabe, nämlich die 9. Auflage. Die bibliografische Angabe inklusive Preis bezieht sich auf die momentan aktuellste Auflage.)

Guten Hunger, besseres Lesen!

„Die Farben der Magie“ – Terry Pratchett

Zwischen all der alltäglichen Realität, die einem bisweilen den Alltag gehörig ruinieren kann, gibt es in der Bücherwelt leuchtende Perlen und eine dieser Perlen, wenn nicht gar DIE Perle ist so magisch, dass einem der Alltag plötzlich ziemlich am Hintern vorbei geht. Die Rede ist natürlich von den Scheibenwelt-Romanen des wohl besten Fantasy-Schriftstellers weltweit. Normalerweise löst das Wort Fantasy bei mir einen fantastischen Brechreiz aus, umso mehr amüsieren und faszinieren mich die prächtig gestalteten Romane von Terry Pratchett. Soweit ich weiß gibt es bisher 40 Scheibenwelt-Romane, die ich nicht alle gelesen habe. Dieser Eintrag bezieht sich deshalb hauptsächlich auf den ersten Roman – Die Farben der Magie – und da es oft Sinn macht, chronologisch zu handeln, empfiehlt es sich, mit eben diesem ersten Roman anzufangen, wenn man die schillernde Scheibenwelt entdecken möchte. Diese ist, wie der Name bereits vermuten lässt, eine Scheibe, welche von 4 Elefanten getragen wird. Natürlich. Pterry zeichnet diese Welt mit Hingabe und Liebe so detaillreich, dass man die Gültigkeit des Credos „die Welt ist eine Scheibe“ schon fast wieder herbeisehnt. Neben klassischen Fantasy-Elementen sind es vor allem Witz, Ironie und Sarkasmus, die das Lesen der Romane zu einem Muss machen. Pratchett nimmt dabei auch immer wieder aktuelle Diskurse mächtig aufs Korn. Das Situieren alltäglicher Mechanismen dieser realen Welt in die Scheibenwelt macht alles ein bisschen sehr viel besser.

Was dazu?

Eigentlich geht alles.

Ein Blick ins Buch?

„Rincewind sprintete zur Gebrochenen Trommel und kam gerade rechtzeitig, um fast mit einem Mann zusammenzustoßen, der die Taverne ziemlich schnell und mit dem Rücken voran verließ. Für die Hast des Fremden war zum Teil der Speer in seiner Brust verantwortlich. Er röchelte hingebungsvoll und sank tot vor dem Zauberer zu Boden.“ (Die Farben der Magie, Terry Pratchett)

Terry Pratchett – Die Farben der Magie in Die Magie der Scheibenwelt. Roman. Aus dem Englischen von Andreas Brandhorst. Piper Verlag, München/Zürich, 2012 (6. Auflage). 895 Seiten, Taschenbuch, 12,99€.

(Anmerkung: Die Literaturangabe bezieht sich auf eine besondere Ausgabe. In dieser Ausgabe sind die ersten 3 Scheibenwelt-Romane in einem Buch gebunden. Für die volle Dröhnung.)

Guten Hunger, besseres Lesen!

Judge a book by its cover.

Judge a book by its cover.

Natürlich klaffen manchmal Krater zwischen gestalterischer Umsetzung und inhaltlicher Leistung. Ich erwische mich jedoch immer wieder dabei, Bücher zu kaufen, deren Umschlag mich begeistert. Vom Dumont Verlag hätte ich auch nichts anderes erwartet, was mich nicht davon abhält, die wunderschöne, faszinierende und hypnotisierende Gestaltung des neuen Romans von Haruki Murakami an dieser Stelle zu loben und zu preisen. Bücher sind schön.

Guten Hunger, besseres Lesen!

„Abschied von Atocha“ – Ben Lerner

Wann ist man ein Künstler? Wann ist man ein guter Künstler? Was ist überhaupt gute Kunst? Adam Gordon ist Lyriker, zumindest glauben das die Menschen in seiner Umgebung und auch die Stiftung, die ihm ein Forschungsprojekt in Madrid finanziert. Seine Lyrik beruht auf einem Zufallsprinzip, das u.a. das Klauen von Zeilen beinhaltet. Die meisten seiner Zuhörer sind trotzdem tief beeindruckt und finden seine Gedichte bisweilen hoch politisch. Dieser Adam Gordon ist eine Figur, die einem eigentlich nicht sympathisch sein kann, denn nicht nur seinen Gedichten fehlt es an Wahrhaftigkeit. Auch seinen zwei Freundinnen erzählt er phantasievolle Lügen. Doch der Held dieses Romans ist in seiner Unehrlichkeit so bodenständig, dass man ihn schon fast wieder bewundert. Als Leser hat man bei dieser Geschichte den klaren Vorteil, die Authentizität zu erkennen, die die Figur Adam Gordon vermissen lässt. Dem Leser gegenüber ist er ehrlich und das macht Spaß an diesem Buch. Spaß macht auch die Sprache. Viele Sätze erstrecken sich über mehrere Zeilen – die Komposition ist intelligent, scharfsinnig und passt zu diesem Charakter, der versucht, sein Verhältnis zur Kunst zu benennen.

Was dazu?

Gut gekühlter Weißwein.

Ein Blick ins Buch?

„Ich machte mir schon lange Sorgen, dass ich unfähig war, eine tiefgehende Kunsterfahrung zu haben, und es fiel mir schwer zu glauben, dass überhaupt jemand eine hatte, zumindest jemand, den ich kannte. Menschen, die behaupteten, ein Gedicht, ein Gemälde oder Musikstück hätten ihr Leben verändert, misstraute ich zutiefst, zumal ich diese Leute oft schon vor ihrer Erfahrung gekannt hatte und keinerlei Veränderung feststellen konnte.“ (Abschied von Atocha, Ben Lerner)

Ben Lerner – Abschied von Atocha. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013. 254 Seiten, gebunden, 19,95€.

Guten Hunger, besseres Lesen!

„Die Selbstmord-Schwestern“ – Jeffrey Eugenides

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an die cineastische Umsetzung dieser wunderbaren Erzählung. 1999 dreht Sofia Coppola „The Virgin Suicides“, u.a. mit Kirsten Dunst und Josh Hartnett in den Rollen der Lux Lisbon und des Trip Fontaine. Als Vorlage und Inspiration diente ihr der Roman von Jeffrey Eugenides. „Die Selbstmord-Schwestern“ schildert das Leben oder vielmehr den Tod der Familie Lisbon in den 70er Jahren. Fünf  schöne Töchter zählt die Familie, doch als eine sich aus dem Fenster stürzt, beginnt das Jahr der Selbstmorde. Alle Augen sind auf die Familie gerichtet, als Leser ist man stiller Beobachter dieser skurrilen, zuweilen verstörenden Geschichte. Die Erzählung ist so dicht, die Sprache so gelungen. Wie ein Schleier legt sich die Melancholie über jede Zeile so wie der Tod als dunkle, unfassbare Masse den Alltag dieser Familie zerstört. Bereits auf der ersten Seite weiß der Leser, dass alle Schwestern sterben werden, dennoch gelingt es Eugenides, das Seltsame dieser Erzählung unfassbar spannend zu gestalten. Den Pulitzer-Preis erhielt er für „Middlesex“, ein durchaus gelungenes Werk, doch die surreale Atmosphäre ist so eindringlich, dass ich „Die Selbstmord-Schwestern“ als Eugenides beste Erzählung empfinde. Der Film von Sofia Coppola ist übrigens nicht minder gelungen – sehr gutes Buch, sehr guter Film.

Was dazu?

Nichts.

Ein Blick ins Buch?

„Keiner hat je verstanden, was in dem Jahr plötzlich in uns fuhr und warum wir die Kruste toter Insekten über unserem Leben mit solcher Leidenschaft verabscheuten. Aber auf einmal konnten wir die Fliegen nicht mehr ertragen, die auf unseren Swimmingpools Teppiche bildeten, unsere Briefkästen füllten und die Sterne auf unseren Fahnen auslöschten.“ (Die Selbstmord-Schwestern, Jeffrey Eugenides)

Jeffrey Eugenides – Die Selbstmord-Schwestern. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Mechthild Sandberg-Ciletti. Rowolth Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005. 256 Seiten, Taschenbuch, 8,99€.

Guten Hunger, besseres Lesen!